1881 - 2021
Eine Stiftung für den guten Zweck
Aus der privaten Heilanstalt für epileptische Kinder wird im Laufe der Zeit ein modernes Unternehmen mit vielfältigen Angeboten für Jung und Alt. Ein Querschnitt der Geschichte Tilbecks, geprägt von Ordensschwestern, den Vorgaben damaliger Zeiten und der Erneuerung von Konzepten und Modernisierung.
Die Lehrerin Gertrud Teigelkemper stiftet den geerbten Hof in der Bauerschaft Tilbeck einem sozialen Zweck und leitet die “Private Erziehungsanstalt für epileptische Kinder”.
Der Lehrerin Gertrudis Teigelkemper zu Bösensell wird hierdurch die jederzeit widerrufliche Concession zur Errichtung und Leitung einer privaten Erziehungsanstalt für epileptische Kinder in der Bauerschaft Tilbeck Gemeinde Havixbeck erteilt.
Unter Aufrechterhaltung der von der Stifterin konzessionierten Erziehungsanstalt erhielt Professor Funcke Mitte November die Konzession zur Errichtung und Leitung einer Privat-Krankenanstalt für an Epilepsie erkrankte Menschen.
Im Sommer konnte mit Zustimmung der Provinzialverwaltung mit der Umsetzung der Baupläne von Architekt Hilger Hertel d.Ä. begonnen werden. Die Stationen St. Ludger und St. Elisabeth konnten zwei Jahre später bezogen werden. Im Jahr 1886 folgte die Station St. Anna. Bis 1892 entstand das Franziskus-Gebäude. Zwischen 80 und 90 Menschen fanden in Stift Tilbeck nun einen Wohnplatz.
Gertrud Teigelkemper erkrankt schwer. Durch einen Vertrag übertrug sie daher das Stift Maria-Hilf dem Bischöflichen Stuhl von Münster, zur Sicherung der Einrichtung für alle Zeiten.
Trotz Unstimmigkeiten, ob der Kapellenbau einer ministeriellen Genehmigung bedürfe, konnte die Kapelle ohne große Verzögerungen errichtet werden. Sie hebt sich in der Größe und Form deutlich von vergleichbaren Bauten ab und wurde in einer für das Stift von Unsicherheit geprägten Zeit erbaut.
Die aufreibende Pflege und Erziehung der Kranken machten weitere Schritte erforderlich. Ebenso sollte das geistlich geprägte Leben besser strukturiert werden. Prof. Funcke hatte bereits Verbindungen zum Mutterhaus der Mauritzer Franziskanerinnen und so lag es nahe, eine solche Gemeinschaft auch in Stift Tilbeck zu gründen. Die im Stift tätigen Frauen nahmen die Bezeichnung Schwestern von Mariahilf an, mit Erlaubnis des Bischofes. Durch Umstrukturierungen im Stift und auch im Orden der Mauritzer Franziskanerinnen entschied man sich, die Pflege an die Schwestern vom Dritten Orden des heiligen Franziskus von Münster Mauritz übernehmen zu lassen und die Gemeinschaften zusammen zu schließen.
Am 26. Februar stirbt Direktor Funcke nach kurzer Krankheit. Daraufhin legte Gertrud Teigelkemper, ebenfalls gesundheitlich angeschlagen, die Leitung des Hauses nieder.
Als Gertrud Teigelkemper am 2. Mai verstarb, hatte sich das Gesicht der Stiftung bereits in wesentlichen Zügen verändert.
Während der 32 Jahre, die Direktor Kleyboldt das Stift Tilbeck leitete, vollzog sich ein enormer Ausbau des Hauses auf allen Feldern. Die Zahl der Patientinnen wuchs beständig an, sodass sowohl die räumlichen als auch die personellen Gegebenheiten stets angepasst werden mussten.
Das Gertrud Gebäude entstand, dieses beinhaltete eine Klausur für die Schwestern sowie Lagerräume für Nahrungsmittel, eine Küche, Schlafsäle und unter dem Dach einen Festsaal. Ebenso wurde der Wasserturm erbaut, der fortan der besseren Wasserversorgung im Stift diente.
Das Quellenmaterial des Stiftes ist in dieser Zeit eher dürftig, man kann aber davon ausgehen, dass der Beginn des ersten Weltkrieges auch hier spürbar war.
Direktor Kleyboldt erkrankt schwer und stirbt am 1. Januar.
Priester Heinrich Rampelmann übernimmt die Leitung. Er forciert eine Tilgung der Schulden.
Durch kleinere Umbaumaßnahmen wurde das Stift Stück für Stück modernisiert.
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten bedeutete für das Stift einen tiefgreifenden Einschnitt. Sozialdarwinismus, Eugenik und Rassenhygiene bestimmten die Sozialpolitik mit ihrer rigiden Gesetzgebung.
Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses” tritt in Kraft. Das menschenverachtende Gesetz schreibt vor, dass Träger angeblicher genau festgelegter Erbkrankheiten bei den Gesundheitsämtern gemeldet werden müssen. Sogenannte Erbgesundheitsgerichte entscheiden dann über die Sterilisierung der Gemeldeten. Die katholische Kirche ergreift für die Betroffenen Partei und lehnt die Unfruchtbarmachung grundsätzlich ab. Dennoch wurden 46 Mädchen und Frauen aus dem Stift sterilisiert.
Bis Ende August sind 462 der etwa 680 in Tilbeck betreuten Mädchen und Frauen den entsprechenden Stellen gemeldet. In seiner Predigt vom 3. August ruft der Träger des Stiftes, Bischof von Galen, zu passivem Widerstand auf und klagt in der Lambertikirche zu Münster die NS-“Euthanasie” öffentlich an.
Im Dezember 1941 verlangt die Provinzialverwaltung die Verlegung von 200 Frauen in die Provinzialheilanstalt Eickelborn. Widerwillig leitet der Direktor des Stifts die Verlegung von 150 Frauen in die Wege.
Insgesamt wurden in den Jahren 1936, 1937 und 1941 228 Menschen in staatliche Einrichtungen verlegt. Keiner kam jemals zurück. Sehr wahrscheinlich sind die meisten von ihnen gezielt getötet worden.
Direktor Laackmann setzte sich im Jahr 1943, nach der vermeintlichen Ankündigung eines weiteren Transportes dafür ein, eine Überführung in eine andere caritative Einrichtung zu erreichen, kurz danach wurde er zum Leiter des Stiftes ernannt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die hospitalisierten, psychisch kranken Menschen nicht nur die allgemein schlechten Lebensbedingungen in Deutschland zu teilen, sie waren in besonderer Weise benachteiligt. Sie litten unter der Überbelegung und Enge baulich veralteter Krankenhäuser und dem Mangel an Fachpersonal. Mit diesen Problemen hatte die Tilbecker Hausleitung zu kämpfen. Am Ende der beiden Jahrzehnte ging es darum, dem traditionell beschützenden Charakter des Hauses eine langsame Öffnung in die Gesellschaft zu ermöglichen.
Anfang der 70er Jahre zog der Träger durchgreifende Konsequenzen aus der Situation der Tilbecker Anstalt. Indem das Generalvikariat neben dem geistlichen Direktor einen Verwaltungsleiter (Leonhard Thiel) einsetzte, die mit dem leitenden Arzt (Dr. Friedrich Hillers) und der Oberin (Schwester M. Einhilda) ein neues Leitungsteam bilden sollten, wurde eine handlungsfähigere Entscheidungsebene geschaffen. Es konnte eine Gesamtkonzeption erstellt werden, die es durch die Gewinnung qualifizierten Personals, umfangreiche Baumaßnahmen und durch Umstrukturierungen umzusetzen galt.
Im Oktober übernimmt Manfred Weber als Werkstattleiter die Aufgabe, die Tilbecker Werkstätten aufzubauen.
Der erste Bauabschnitt der Tilbecker Werkstätten ist abgeschlossen und kann mit 150 Plätzen bezogen werden.
Es werden Wohngruppen in Billerbeck, Havixbeck und Nottuln eingerichtet sowie tagesstrukturierende Maßnahmen entwickelt. Die Beschäftigungstherapie wird in eine Tagesförderung umgewandelt. Der dritte Bauabschnitt der Tilbecker Werkstätten wird verwirklicht.
Den Opfern des Nationalsozialismus in Stift Tilbeck wird auf dem Tilbecker Friedhof ein Mahnmal als Gedenkstein gesetzt.
Das Integrationsunternehmen VARIA GmbH wird gegründet.
Der Außenstandort für Menschen mit psychischen Erkrankungen der Tilbecker Werkstatt zieht in das Gebäude der Liebigstraße in Nottuln um und das Zentrum für berufliche Bildung und Qualifizierung nimmt in der Otto-Hahn-Straße in Nottuln seine Arbeit auf. Das Gebäude der Tilbecker Werkstätten am Standort Stift Tilbeck wird umfassend renoviert.
Das Haus „Wohnen in Pastors Garten“ öffnet in Münster-Roxel seine Pforten für ältere Menschen mit Pflegebedarf.
Ein neues Werkstattgebäude für schwerstmehrfachbehinderte Menschen an der Ahornallee in Tilbeck wird in Betrieb genommen.
Nach einjähriger Umbauzeit nehmen das Café am Turm (heute tilbecks) und die Privatrösterei Schröer ihren Betrieb auf. Die Varia GmbH erweitert ihr Aufgabenfeld mit der Übernahme der Privatrösterei Schröer und des dazugehörigen Geschäftslokals in Dülmen.
Die im Wohn- und Teilhabegesetz verlangte Quote in Höhe von 80 % Einzelzimmern für den Wohnbereich bis Mitte 2018 wird erreicht und übertroffen.
Als weiteres wichtiges Standbein in der Unternehmensentwicklung wird die Jakobus Pflege und Betreuung gGmbH mit Sitz in Tilbeck gegründet.
Im Bereich der Behindertenhilfe gibt es außerhalb der Kerneinrichtung nun 18 Wohngruppen im Westen von Münster und in der Baumbergeregion.
Das Unternehmen Stift Tilbeck GmbH ist immer im Wandel und in der stetigen Erweiterung. Im Jahr 2021 wird ein neues Haus in Appelhülsen fertig gestellt und kann bezogen werden, das Thema Digitalisierung rückt mehr und mehr in den Vordergrund und die Teilhabe der Menschen mit Behinderung ist eine immens wichtige Aufgabe des Stiftes und durch das Bundesteilhabegesetz vorgegeben.